Kulturdenkmal aus Papier

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# Museum

Kulturdenkmal aus Papier

Ein Geschenk für die Kirchenbibliothek  

Da liegt es nun vor mir auf dem Tisch. Oktavformat. 5 cm dick. Roter Einband. Sehr guter Erhaltungszustand. Das Buch stammt aus privatem Familienbesitz und wurde unserer historischen St.-Nikolai-Bibliothek im vergangenen Herbst gestiftet. Nur in seltenen Einzelfällen nehmen wir Buchgeschenke an. Doch hier konnte ich nicht nein sagen. Der Band passt zu 100 Prozent in das Profil unserer Büchersammlung. Wir danken an dieser Stelle den Stiftern sehr herzlich! Jetzt habe ich die Ehre und das Vergnügen, den Neuzugang zu autopsieren. Das bedeutet, dass das Buch durch Inaugenscheinnahme formal und sachlich erschlossen, mit einer Signatur versehen und in den Katalog aufgenommen wird.  

Schatz oder Schätzchen?

Ich schlage das Schätzchen auf: Die Besitzer des 20. Jahrhunderts haben sich gut lesbar auf dem Vorsatz eingetragen. Doch schon der Besitzervermerk von 1889 ist unvollständig. Und leider fast völlig verblasst ist der handschriftliche Eintrag des mutmaßlichen Ersteigentümers. Lediglich das Datum 13. August 1600 ist zu entziffern. An diesem Tag hat er das Buch wohl übernommen oder sogar selbst herstellen lassen. Ja, herstellen lassen; denn das Buch ist ein Sammelband mit insgesamt zehn einzelnen Schriften. Bis ins 18. Jahrhundert hinein gab es keinen Buchhandel, wie wir ihn heute kennen. Die Leserinnen und Leser kauften die bedruckten Bögen von den Offizinen, den Druckerverlegern. Das Buchbinden stellte eine zusätzliche Ausgabe dar und so sammelte man die Texte, bis es sich lohnte, sie binden zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch das vorliegende Buch individuell zusammengestellt wurde und es weltweit kein zweites davon gibt.  

Was steht denn nun drin?

Der Band versammelt Drucke vor allem aus dem Jahr 1549. Den Anfang macht der Text "Leben und Werk Martin Luthers" von Philipp Melanchthon, gedruckt vom berühmten Wittenberger Hans Lufft. Auch die weiteren im Buch versammelten Schriften lesen sich wie ein Who´s who der mitteldeutschen Reformation. Matthias Flacius, erbitterter Gegner des Augsburger Interims, ist allein sechsmal als Autor oder Herausgeber vertreten. Als Drucker tauchen Michael Lotter und Christian Rödinger d. Ä. auf. Wegen ihnen erhielt Magdeburg in der Reformationszeit den Beinamen "Unseres Herrgotts Kanzlei". Alle diese Texte waren echte Bestseller.  

Das passt!

Die Einzigartigkeit solcher alten Bände spiegelt sich nicht finanziell wider, wie man eventuell vermuten könnte. Heutzutage besteht der Wert der Nikolai-Bibliothek weder in der Menge der aufbewahrten Bücher noch im Besitz besonders kostbarer Einzelstücke. Sie ist vielmehr eine der wenigen brandenburgischen Kirchenbibliotheken, deren Bestand ohne größeren Verlust über Jahrhunderte erhalten geblieben ist. Alle Phasen der kulturellen Entwicklung Brandenburg-Preußens und unserer Gemeinde - die lutherische Reformation, der Konfessionswechsel 1613, der Aufschwung der hugenottischen Geistigkeit und die Aufklärung - hinterließen ihre Spuren, sodass die Bibliothek selbst als Kulturdenkmal gelten kann. Nun mit einem weiteren Schatz!

Sabine Müller

Neugierig geworden?
Herzliche Einladung zum Tag der offenen Bibliothek am Sonntag, 18. Mai 2025 von 15 bis 18 Uhr Spandovia Sacra Museum von St. Nikolai Spandau Reformationsplatz 12

(Dieser Text erschien zuerst Im Gemeindebrief St. Nikolai, Ausgabe März - Mai 2025, S. 12f.)

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