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Sammeln, bewahren, erforschen, vermitteln
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Sammeln, bewahren, erforschen, vermitteln
Spandovia Sacra - Materialien zur Spandauer Kirchengeschichte
Beitrag Nr. 3, 1. Oktober 2020 − Autorin: Sabine Müller
Vielen Dank für Ihr freundliches Interesse an unserer Arbeit und auch ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie mir die Gelegenheit bieten, Ihnen heute über das Museum „Spandovia Sacra“ zu berichten. Links sehen Sie ein Foto unseres Hauses aus dem Jahr 2012.
Liebe Leser*innen, sehr geehrte Gäste!
Im Herbst 2019 konnten wir darauf zurückblicken, dass das Museum „Spandovia Sacra“ (=Heiliges Spandau) der evangelischen Kirchengemeinde St. Nikolai zu Berlin-Spandau vor 25 Jahren an seinem damals neuen Standort am Reformationsplatz 12 eröffnet wurde. In den 1970er Jahren gab es bereits Bemühungen, die Geschichte der Gemeinde auszustellen. 1982 wurde dann zur ersten „Spandovia Sacra“-Ausstellung eingeladen. Sie wurde im Kirchturm von St. Nikolai präsentiert (Foto unten).
Mit der Umgestaltung des Turms in der 2. Hälfte der 1980er Jahre entfiel die Möglichkeit, diesen weiterhin museal zu nutzen. 1989 konnte die St.-Nikolai-Gemeinde das Haus Reformationsplatz 12 aus Privathand (zurück-)erwerben, um darin das Museum einzurichten. Wer von Ihnen jetzt mitgerechnet hat, wird bemerkt haben, dass zwischen Ankauf und Eröffnungstermin fünf lange Jahre Bau- und Vorbereitungszeit lagen. Dies ist u.a. der Tatsache geschuldet, dass das Haus unter Denkmalschutz steht und entsprechende Auflagen zu erfüllen waren. Die Umbauarbeiten leitete Prof. Dr. Karsten Westphal.
Beim Umbau entdeckte man - tatsächlich zufällig - den mittelalterlichen Keller (Foto unten). Er war völlig verfüllt und musste zunächst ausgegraben werden. Nun zeugt er mit seinen gotischen Bauformen vom hohen Alter des Hauses. Das heute oberhalb des Kellers sichtbare Fachwerkgebäude ist der Neubau nach dem 30-jährigen Krieg.
Die gesamte Ausstattung des Hauses lag in den Händen von Ortrud Kubisch in enger Zusammenarbeit mit unserem damaligen Pfarrer Winfried Augustat. Mit der Realisierung war Jürg Steiner beauftragt. 1997 übernahm Gabriele Bluhm die Leitung; seit 2004 bin ich für die Arbeit im Haus Reformationsplatz 12 zuständig. Es gibt außer mir keine weiteren hauptamtlichen Mitarbeitenden.
Begleiten Sie mich nun bitte auf einem kleinen Rundgang durch das schöne alte Fachwerkhaus. Unterwegs werde ich Ihnen Einblicke in die jeweiligen Arbeitsbereiche gewähren. Ich sehe unter Ihnen einige, die die Einrichtung sehr gut kennen, da sie ehrenamtlich in unserer Kirchengemeinde und im Museum arbeiten.
Bitte gestatten Sie mir zuvor noch wenige grundlegende Anmerkungen: Das Museum „Spandovia Sacra“ hat – so klein es ist – dieselben Aufgaben wie jedes andere Museum auch:
Sammeln, Bewahren, Erforschen und Vermitteln
Diese international festgelegten Aufgabenfelder werden uns im Folgenden immer wieder begegnen.
Die Arbeit im Museum von St. Nikolai bewegt sich in dem besonderen Rahmen der Reformationskirche des Kurfürstentums Brandenburg.
Der Überlieferung nach kam Kurfürst Joachim II. am 1. November 1539 in die Spandauer St.-Nikolai-Kirche, um sich erstmals öffentlich ein evangelisches Abendmahl reichen zu lassen. Ich möchte Sie mit der schon Jahrhunderte währenden Diskussion, ob dem wirklich so war, verschonen. Es gibt, wie u. a. Dr. Andreas Stegmann plausibel ausgeführt hat, keine relevanten Gründe dafür, an der Überlieferung zu zweifeln. Im Gegenteil: Inzwischen sind neue Indizien gefunden worden, die die Tradition stützen. Doch dazu später. Ich habe Ihnen ja einen Rundgang durch das Museum versprochen.
Beginnen wir mit dem zur Nutzung ausgebauten Dachboden. Er dient dem Museum als Veranstaltungsraum und somit den Segmenten „Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit“. Gut besuchte Konzerte, Lesungen und Vorträge werden hier regelmäßig angeboten.
Links ein Foto von der szenischen Lesung aus der Stadtchronik von Daniel Friedrich Schulze. Dies war eine Eigenproduktion des Museums mit dem poetischen Titel „Sie blieb tot und er untröstlich“ - ein Zitat aus der Chronik. Unter der Regie von Sylvia Sarnow agierte Wolf Scheidt. Ausschnitte aus dieser Lesung finden Sie als Film auf der Internetseite der St.-Nikolai-Kirchengemeinde. Dort – die Adresse ist www.nikolai-spandau.de − finden Sie ebenfalls das aktuelle Programm „Unterm Dach“.
Der Dachboden dient auch als ganz „normaler“ Gemeinderaum. Hier finden z. B. die Proben unserer Turmbläser statt. Auch die Yogafrauen und andere Gruppen der Gemeinde nutzen den Raum für ihre Aktivitäten.
Ein Stockwerk tiefer, im Mittelgeschoss des Hauses, betreten wir das „Allerheiligste“ im Museum „Spandovia Sacra“: die historische Bibliothek. Lassen Sie uns hier einen Moment verweilen. Für das Folgende stütze ich mich neben eigenen Untersuchungen u.a. auf die Arbeit Eckhardt Plümachers aus dem Jahr 1970.
Die Geschichte der Bibliothek lässt sich urkundlich bis 1532 zurückverfolgen. Die Ersterwähnung fand ganz profan in einem Rechnungsbuch statt. Wie lange die Bücherkammer, die sich vermutlich im Obergeschoss einer der beiden Seitenkapellen der Nikolai-Kirche befand, vor 1532 bereits bestanden hat, ist nicht eindeutig feststellbar.
Wie eine 1937/38 angefertigte Aufstellung belegt, besaß die Kirchenbibliothek bis in die jüngste Zeit hinein eine Reihe von spätmittelalterlichen Handschriften und Inkunabeln. Sie gelangten zu unterschiedlichen Zeiten auf unterschiedlichen Wegen in die Bibliothek.
Nur eine der ursprünglich 15 Handschriften hat den Zweiten Weltkrieg überstanden: Das 1875 an das Märkische Provinzialmuseum in Berlin abgegebene „Nikodemus-Evangelium“ von 1447 (Foto links) gehört heute wieder zum Bestand der Spandauer Bibliothek. Nur drei Wiegendruckbände überdauerten die Wirren der vergangenen Jahrhunderte.
Ein erstes Bibliotheksverzeichnis wurde zur dritten kurmärkischen Generalvisitation im Jahr 1600 angelegt und listete nach der Überlieferung Schulzes 33 Bücher auf. Dieser übersichtliche Bestand stellt eine durchschnittliche, von der lutherischen Reformation geprägte Büchersammlung dar. Sie bot ein ähnliches Bild wie andere märkische Kirchenbibliotheken der Zeit. Der Dreißigjährige Krieg unterbrach die verhältnismäßig vielversprechende Entwicklung der Bibliothek. Spandau hatte als Festungsstadt besonders schwer unter den Kriegsfolgen zu leiden. Das erste erhaltene Verzeichnis stammt aus dem Jahr 1680 (Foto unten); es enthält 95 Titel, von denen heute noch 25 vorhanden sind.
Der umfangreichste und bedeutendste Zuwachs der Bibliothek ist die testamentarische Übereignung der Privatbibliothek von Georg Wilhelm Wegner im Jahr 1765. Georg Wilhelm Wegner wurde 1692 in Oranienburg geboren, studierte Theologie in Halle und Jena. 1719 konnte er in Germendorf bei Oranienburg den Pfarrdienst antreten.
Georg Wilhelm Wegner war ein ausgesprochener Bücherliebhaber. Er gab fast ein Drittel seiner baren Einkünfte für seine Bibliothek aus und beschäftigte sich ausgiebig mit ihr. Vor allem im Alter kaufte Wegner zahlreiche Reisebeschreibungen und malte die darin befindlichen Landkarten und Kupferstiche farbig aus. Noch heute bereiten diese ausgesprochen bunten Deckfarbenbilder den Betrachtenden Freude.
Wegner versäumte es nicht, jedes seiner Bücher mit einem Besitzvermerk zu versehen. Unter dem Pseudonym Tharsander verfasste Wegner selbst mehrere Schriften. Unter anderem brachte er im Berliner Verlag von Ambrosius Haude die Zeitschrift „Schauplatz“ heraus. Um Wegners Bücher einer breiten Leserschaft verfügbar zu machen, unterstützte die St.-Nikolai-Kirchengemeinde kommentierte Neuausgaben seiner Werke.
Doch zurück zur Geschichte der Büchersammlung von St. Nikolai. 1772 erhielt Daniel Friedrich Schulze (Bild links) die Aufsicht über die Kirchenbibliothek. Dieser Aufgabe kam er trotz zahlreicher anderer Pflichten mit der ihm eigenen Sorgfalt nach: Schulze ordnete und katalogisierte den mittlerweile auf fast 2.700 Titel angewachsenen Bestand. Der verhaltene Stolz, mit dem Schulze die Spandauer Büchersammlung in seiner Chronik erwähnt, war durchaus berechtigt: Die Bibliothek der Berliner Nikolaikirche besaß zur ungefähr selben Zeit nur etwa 1.000 Bände.
Im 19. Jahrhundert ging jedoch das Bewusstsein für die Bedeutung der Bibliothek verloren. Erst im 20. Jahrhundert interessierte man sich wieder ernsthafter für sie. Die Bücher standen noch in der 165 Jahre zuvor von Schulze geschaffenen Ordnung, als der Buchwissenschaftler Hellmut Rosenfeld sich ihrer von 1937 bis 1939 annahm. Nur etwa 250, meist theologische Werke waren in der Zwischenzeit hinzugekommen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die St.-Nikolai-Kirche bei einem alliierten Luftangriff schwer beschädigt. Brandbomben trafen Oktober 1944 den Turm, der vollständig ausbrannte. Auch auf die Kirche selbst griffen trotz umfangreicher Luftschutzmaßnahmen die Flammen über, zerstörten jedoch vor allem den Westteil samt Orgel. Dachstuhl, Gewölbe und Seitenkapellen, und mit ihnen auch die historische Büchersammlung, blieben erhalten.
1965 kam es zu einer weiteren einschneidenden Veränderung: Um die Bücher zu sichern und verfügbar zu halten, wurde die Bibliothek der St. Nikolai-Gemeinde per Leihvertrag der Kirchlichen Hochschule Berlin als Depositum für 39 Jahre überlassen. Der Leihvertrag sah ein außerordentliches Kündigungsrecht vor für den Fall, dass die Kirchliche Hochschule zu existieren aufhören würde.
Wider alle Erwartung trat dies ein, als 1993 die Kirchliche Hochschule Berlins im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands mit der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin fusionierte. Die Spandauer Gemeinde machte von ihrem Recht Gebrauch und die Bücher gelangten vorfristig zurück. Aus sicherheitstechnischen Gründen konnten sie nicht mehr in der mittlerweile vollständig restaurierten Kirche oder im Turm untergebracht werden und fanden ihren gegenwärtigen Platz im gemeindeeigenen Museum, wo sie interessierten Nutzern zur Verfügung stehen. Mittlerweile sind die Bücher in einer elektronischen Datenbank erfasst. Für erforderliche Restaurierungsmaßnahmen stellt die Kirchengemeinde laufend finanzielle Mittel in erheblicher Höhe zur Verfügung. Neuanschaffungen werden nicht vorgenommen. Die Bibliothek umfasst über 2.600 Bände mit über 4.100 Werken.
Betrachtet man den Bibliotheksbestand nach den Jahren, in denen die Titel publiziert wurden, so zeigt sich der Schwerpunkt im 17. und 18. Jahrhundert. Weil die Autoren mit den meisten Publikationen Theologen sind, könnte der Eindruck entstehen, dass sich die Bibliothek neben Bibeln und Gesangbüchern vor allem aus kirchenwissenschaftlicher Literatur zusammensetzt. Tatsächlich findet sich jedoch ein weites Spektrum der Themengebiete, welches Medizin, Psychologie, Mathematik, Physik, Chemie, Astronomie, Erdkunde, Geschichte, ja auch Lustspiele, Theaterstücke und Prosa umfasst.
In der Bibliothek befinden sich rund 500 Leichenpredigten, die in der Datenbank der Forschungsstelle für Personalschriften erfasst und über die entsprechende Internetseite recherchierbar sind. Im Verzeichnis deutscher Drucke des 16. Jahrhunderts ist die Spandauer Bibliothek mit 258 Titeln vertreten (in der obersten Zeile „Bestand“ anwählen und „VD283“ eingeben). Das Verzeichnis des 17. Jahrhunderts (VD 17) enthält zurzeit 1.733 Bücher aus Spandau. Da es sich dabei um zahlreiche Unikate handelt, wurden diese sicherheitshalber digitalisiert. Die historische Bibliothek ist das Hauptforschungsfeld des Museums, wenn man es so formulieren möchte. Über die Internetseite der Nikolai-Gemeinde erhalten Sie Zugang zu den genannten Verzeichnissen. Dort können Sie sehen, in welcher „Liga“ wir spielen. Die Bibliothek der St. Nikolai-Gemeinde Spandau kann selbst als Kulturdenkmal gelten.
Nun verlassen wir die Bibliothek und gehen in das Erdgeschoss, wo sich die beiden Ausstellungsräume des Museums befinden. Ursprünglich als Dauerausstellung konzipiert, werden seit 1997 wechselnde Ausstellungen erarbeitet. Dabei steht im Vordergrund, dass Exponate aus eigenem Bestand präsentiert werden können. Die Ausstellungen ermöglichen es, quasi „Schneisen“ durch die umfangreichen Bestände der St.-Nikolai-Gemeinde zu schlagen.
Neben der Bibliothek, die wir mit ihren knapp über 4.000 Titeln bereits kennengelernt haben, befinden sich rund 15.000 Verzeichnungseinheiten im Archiv der Gemeinde. Die Kunstguterfassung, also z.B. von Gemälden, Abendmahlsgeräten, Grabplatten usw., erstreckt sich über fünf dicke Aktenordner.
Viele in den seit 1994 vergangenen Jahren, zum großen Teil ehrenamtlich geleistete Arbeitsstunden haben dazu verholfen, dass das historische Inventar der Spandauer Stadtkirche St. Nikolai für Forschungszwecke zur Verfügung steht. Die wechselnden Ausstellungen bieten uns die Möglichkeit, das vorhandene Material zu sichten und einzuordnen.
So stießen wir z. B. bei der Darstellung der Geschichte unseres Stresower Gemeindeteils auf eine Urkunde aus dem Jahr 1528, also noch aus vorreformatorischer Zeit. Schulze erwähnt die Urkunde als Nr. 133. In ihr geht es um ein Geldgeschäft des Spandauer Benediktinernonnenklosters (Foto oben).
Im Zuge der Beschäftigung mit den Ausstattungsstücken der St.-Nikolai-Kirche entdeckten Ehrenamtliche beim intensiven Aktenstudium, dass auch Anna de Montot, die erste Gemahlin des Grafen Rochus zu Lynar, in der Familiengruft unter dem Altar beigesetzt ist, und zwar seit 1882 in einem mit einer Scheidewand versehenen Doppelsarg mit dem Grafen selbst (Foto unten).
Auch von professioneller Seite aus werden in letzter Zeit wieder verstärkt Forschungen betrieben. So veröffentlichte die Textilrestauratorin Christa Jeitner 2011 ihre Untersuchungsergebnisse über die sogenannte Bischofskasel, die sich unter Eigentumsvorbehalt der St.-Nikolai-Gemeinde in der Obhut des Stadtmuseums Berlin befindet. Christa Jeitner kommt zu dem Schluss, dass das wertvolle liturgische Gewand aus rotem Granatapfelsamt (Foto Stadtmuseum Berlin) durchaus zum Ornat des brandenburgischen Bischofs Matthias von Jagow gehört haben und von ihm am 1. November 1539 bei der ersten offiziellen evangelischen Abendmahlsfeier Brandenburgs in St. Nikolai zu Spandau getragen worden sein könnte. Das unten abgebildete Gemälde wurde 1913 von Carl Röhling geschaffen und stellt diese Feier dar. Das großformatige Kunstwerk ist in der St.-Nikolai-Kirche zu sehen.
Interaktive 360-Grad-Tour durch Spandovia Sacra vom Keller bis zum Dachboden.
Der Beitrag in Text und Bild unterliegt dem Urheberrecht.
Zitate sind entsprechend zu kennzeichnen.
Kontakt: Spandovia Sacra − Museum von St. Nikolai
Reformationsplatz 12
13597 Berlin
www.nikolai-spandau.de/museum
museum[at]nikolai-spandau.de
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